Eskalationstherapie

Der Begriff Eskalationstherapie hört sich erst einmal erschreckend an. Es eskaliert etwas. Der Begriff kommt ursprünglich aus militärischen Zusammenhängen. Eine Situation eskaliert, also verschärft bzw. steigert sich.

Fast zwangsläufig denkt man an ein Pulverfass.

Was aber eskaliert bei unserer MS-Therapie oder ist gar, was noch schlimmer wäre, unsere Krankheit eskaliert?

Die Mediziner verstehen unter Eskalationstherapie, dass die Therapie gesteigert wird. Man greift zum letzten Mittel.

Die Boulevard-Presse weiß das nicht. Denn hier werden alle MS-Medikamente in einen Topf geworfen und verglichen. Also Vorsicht bei Artikeln aus diesen Quellen. Der jeweilige Hersteller der Medikamente hat medizinisch geschulte Journalisten.

Welches Medikament oder welche mechanische Therapie zur Eskalationstherapie gehört, legt eine [1]Leitlinien-Kommission fest. Der behandelnde Neurologe muss sich daran natürlich nicht halten, aber diese Kommission setzt die Standards der medizinischen Kunst. Hält sich der Neurologe nicht daran, haftet er für sein Tun quasi ohne Rückendeckung.

Wir möchten, und dafür ist der Begriff Eskalationstherapie sehr gut geeignet, euch klarmachen, wie wichtig es ist zu verstehen, was hinter den ganzen Begriffen steckt, die unsere Neurologen wie selbstverständlich benutzen. Vielleicht versteht der Neurologe die Begriffe ganz anders als sie bei uns ankommen?. Das führt dazu, dass wir uns nicht auf einer Ebene begegnen und das wiederum bewirkt, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient schwer herzustellen ist.

Früher war ja alles besser, sagen die Alten. Da ging man zum Arzt, der handelte und es war alles gut.

Das Internet und die gesamte mediale Welt bombardieren uns ständig mit Informationen. Alles ist innerhalb von wenigen Minuten nachgeschaut und verfügbar. Dabei bleibt keine Zeit zum Verstehen, zum Verdauen. Mal ganz abgesehen von den unendlich vielen Fehlinformationen, die im Netz umherschwirren. Gerade die sozialen Netzwerke sorgen für viele falsche Informationen. Wie in unserer Politik, die stark von Interessengemeinschaften bestimmt wird, findet derjenige Gehör, der am lautesten schreit.

Wir bemühen uns, euch verständlich objektive Informationen zu geben, die euch in die Lage versetzen, auf Augenhöhe mit dem Mediziner zu diskutieren.

Die guten alten Zeiten sind für immer passé.

 

Zurück zum Thema. Für wen kommt nun die Eskalationstherapie infrage?

Man muss in die Kategorie „RRMS - schubförmige MS“ fallen. Das muss aber der Neurologe in Absprache mit uns entscheiden. Man ist nicht festgemauert in irgendeiner Kategorie. Dazu sind die Verfahren zur Feststellung viel zu ungenau.

Des Weiteren muss man eine hochaktive Verlaufsform haben. Ob man die hat, wissen wir meist am besten selbst. Da kommt euer Gefühl mit ins Spiel. Grundlage für ein gutes Körpergefühl ist die Beschäftigung mit dem eigenen Körper. Auf Signale horchen, den Körper so annehmen, wie er ist, erforschen was ihm guttut und was nicht. Am besten tun wir das ohne Angst und Panik. Wenn die Schubfolge sich ändert, statt ein Schub alle paar Jahre auf einmal zwei Schübe in einem Jahr, dann halten wir das für hochaktiv.

Ein anderer wäre vielleicht froh, wenn er nur zwei Schübe im Jahr hätte und für ihn wären erst fünf hoch aktiv. Merke: Es gibt Spielraum für eine Einordnung.

 

Medikamente sind in drei Gruppen eingeteilt. 1. Wahl, 2. Wahl, 3. Wahl.

Die 1. Wahl sind die modernen Therapien mit Antikörperpräparaten.

Alemtuzumab, Fingolimod, Natalizumab gehören hierher.

Die 2. Wahl sind Zytostatika, die aus der chemotherapeutischen Krebsbehandlung kommen.

Hierzu zählen Mitoxantron, Cyclophosphamid.

Die 3. Wahl sind „Experimentelle Verfahren“.

 

Nun fragen wir uns, wie die Medikamente in die Kategorien gelangen, bzw. was die Medikamente auszeichnet. Die 1. Wahl sind hochwirksame Medikamente, bei denen durch Studien eine höhere Wirksamkeit als bei den Medikamente belegt ist, die für die Anwendung im Falle eines milden Verlaufs vorgesehen sind.

Wenn die Medikamente aber doch besser wirken, warum bekommt sie nicht jeder und am besten sofort? Und vor allem hat sich der Hersteller bestimmt nicht darum gerissen, in diese Kategorie einsortiert zu werden. Man sollte davon ausgehen, dass die Forscher und Entwickler in den Pharmaunternehmen etwas entwickeln wollen, was allen hilft. Ob Pharmaunternehmen überhaupt etwas suchen das heilt, ist reine Spekulation und bleibt der Bewertung von Verschwörungstheoretikern vorbehalten.

Natalizumab, das erste zugelassene Medikament aus 1. Wahl, hatte das Zeug dazu, endlich ein Durchbruch in der MS-Behandlung zu werden. Und das sollte sicher nicht nur einem ganz kleinen Kreis von schubförmigen MS-Patienten vorbehalten sein.

Es macht überhaupt keinen Sinn erst dann mit hochwirksamen Medikamenten zu beginnen, wenn die ersten schweren Behinderungen unmissverständlich auf einen zukünftig kritischen Verlauf hinweisen.

In der MS-Community kursiert immer wieder die Meinung: Das nehme ich erst, wenn alles andere nicht mehr wirkt, sonst habe ich ja gar nichts mehr, was ich tun kann.

Das Zustandekommen einer solchen Denkweise ist wohl den sehr zweifelhaften Versuchen mit Zytostatika geschuldet, die unserem Körper definitiv sehr schaden. Man treibt praktisch den Teufel mit dem Beelzebub aus.

Das trifft aber auf die Medikamente der 1. Wahl nicht zu.

Bei der Zulassung von Natalizumab starben Patienten an einer ernsthaften Komplikation, der PML. Daraufhin wurde dem Medikament die Zulassung entzogen. Unter einem neuen, dem jetzigen Markennamen wurde das Medikament dann unter Einschränkungen, wie wir sie oben beschrieben haben, wieder zugelassen.

So wurde aus einer Hoffnung für Viele eine Eskalationstherapie für Wenige.

In Deutschland werden Betroffene, die mit 1. Wahl-Präparaten behandelt werden, engmaschig ärztlich kontrolliert und überwacht, um die PML-Komplikation, die sehr schwer und bisweilen tödlich verlaufen kann, zu erkennen und zu behandeln.

 

Tipps

 

  • Besprecht mit eurem Neurologen in welche Kategorie ihr gehört.
  • Ein gutes Vertrauensverhältnis zum Arzt ist immens wichtig!
  • Hinterfragt die Entscheidung.
  • Kategorien sind dazu da, dass Kassen zahlen und Ärzte ihrer Entscheidung wegen nicht regresspflichtig gemacht werden können.
  • Ihr tragt die Verantwortung für euch!

 

 

[1]   http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/030-050l_S2e_Multiple_Sklerose_Diagnostik_Therapie_2014-08_verlaengert.pdf