Kognitive Störungen / Konzentrationsstörungen

Was ist eine kognitive Störung?

Für ganz viele Symptome der Multiple Sklerose (MS) lässt sich ziemlich genau sagen, dass irgendetwas im zentralen Nervensystem geschädigt ist. Objektiv betrachtet, sollte ein Mensch, wenn er sich mit geschlossenen Augen auf seine Füße konzentriert, wissen, ob er Schuhe anhat oder nicht. Darüber gibt es keinen Zweifel! Ganz anders verhält es sich bei kognitiven Störungen. In diesem Fall versagt der normale menschliche Vergleichsmaßstab, das objektiv Normale.

Also lässt sich die Frage, was eine kognitive Störung ist, nicht so einfach beantworten. Es beginnt schon damit, dass es überhaupt keine einheitliche Beschreibung  für den Begriff Kognition (Erkennen) gibt. Was gehört alles dazu?

 

Man ist das viel! Da blickt ja kein Mensch durch. Und jetzt?

Bei MS versteht man gemeinhin unter kognitiven Störungen all das, was mit der Beeinträchtigung geistiger Leistungsfähigkeit gemeint ist, also alles, was Neuropsychologen messen können, einschließlich der Sprache. Und interessieren tun sich Neuropsychologen in ihren Tests nur für eure Funktion bei der Arbeit. Wer arbeiten kann, ist gesund. Seid also wachsam, wenn ihr den Neuropsychologen „in die Hände fallt“!

Ihr habt wahrscheinlich alle schon entsprechend Tests gemacht, wenn nicht, ist es auch egal. „Ich vergesse so viel!“ „Ich kann mich nicht konzentrieren!“ „Ich bin ständig müde!“ Diese Sätze könnten von jedem Dritten in Deutschland stammen.. Dazu muss man nicht an MS erkrankt sein. Wenn ihr allerdings den Namen eurer Mutter vergesst, solltet ihr euch gleichwohl Gedanken machen.

Also nochmal: Zum Begriff Kognition gehört alles, was uns als Menschen von den Affen unterscheidet, soweit die Theorie!

 

  • Wie stelle ich fest, ob ich eine kognitive Störung habe?

Wir wissen, dass man keine Frage mit einer Gegenfrage beantwortet. >In diesem Fall sind wir einmal unhöflich und tun es einfach.

Wozu willst du das eigentlich wissen? Wer eine kognitive Störung hat, fragt nicht danach. Jemand mit schweren kognitiven Störungen, verbunden mit Wesensveränderungen, würde eine solche Frage gar nicht stellen. Er würde wie ein an Demenz Erkrankter eher dazu neigen, eine mögliche Gesundheitsstörung auszuschließen.

Der Grad zwischen MS-Symptom und Begleiterscheinung einer Überlastung, die jeden betreffen kann, ist schmal - sehr schmal!

Häufig stellen Neuropsychologen in Rehakliniken fest, ob man kognitive Probleme hat. Diese Diagnose und das Training zur Verbesserung unserer kognitiven Leistungsfähigkeit dient in aller Regel zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. Aber auch Alltagskompetenz soll wiederhergestellt oder verbessert werden.

 

  • Ist das wirklich von der MS?

Na klar!

Jeder, der nicht mehr so schnell reagieren kann, dem abhandengekommen ist, was wir Spontaneität nennen, der ständig in Gesprächen den Faden verliert, der in Kaufhäusern verrückt wird, wird sagen: »Das hatte ich vorher nicht! Das muss von der MS kommen!«

Und dennoch ist es nicht so einfach.

Die große Frage, die sich der Diagnostiker stellt, ist ausnahmsweise einmal eine Frage, die wir uns auch stellen sollten. Nämlich die, ob unsere Aufmerksamkeitsstörungen direkt von Schädigungen im Gehirn ausgelöst werden oder nicht.

Auch wenn es egal erscheint, warum man glaubt, dass man langsam „verblödet“, ist es sehrwohl wichtig, die Ursache zu kennen.

»Ich behalte auch vieles nicht!«, wird von Nichtbetroffenen oftmals geäußert.

An diejenigen, die sich hierher verirrt haben, ohne MS zu haben, sei Folgendes adressiert:

»Wir können solche Beschwichtigungen nicht mehr hören!«

Es mag zwar nett gemeint sein, aber es verunsichert uns zutiefst. Also spart es euch einfach!

Für den Fall, dass die Aufmerksamkeitsstörungen nicht durch Läsionen ausgelöst sind, sondern durch die vielen Aufgaben, die unser Gehirn zusätzlich erledigen muss, da es wichtige Sachen, die wir von Kindesbeinen an konnten, vergessen hat, können wir etwas verändern, etwas verbessern!

 

  • Konzentrationsstörung als Begleitsymptom?

Auch ein gesunder Mensch, der intensiv mit etwas beschäftigt ist, wird sich nicht konzentrieren können, wenn er ständig unterbrochen wird.

 

Wir werden ständig unterbrochen! Der Schwindel sorgt für Unsicherheit, die Beine stehen unter Spannung, das Gesichtsfeld ist eingeschränkt, das Kribbeln in den Beinen hört nicht auf. Wie soll man sich da konzentrieren?

Das ist wahrlich schwer. Zusätzlich kommt, wie für jeden gesunden Menschen, auch noch das bunte Treiben unserer aufgeregten Welt hinzu. Und schon bricht alles zusammen. »Rien ne vas plus!«, „Nichts geht mehr!“

Unter solchen Bedingungen kann sich niemand vernünftig konzentrieren.

Wer kann das schon alles begreifen? (Bild rechts)

Wenn es nur eine Begleiterscheinung unseres Gesamtzustandes ist, befinden wir uns quasi immer auf dem Niveau eines Menschen, der kurz vor dem Burnout steht.

 

Aber!

Wir können reagieren. Das Wichtigste zur Verbesserung unserer Situation ist dann geschehen, wenn wir wissen, warum wir scheinbar „verblöden“.

Dann können wir stückweise Störfaktoren ausschalten, um unsere Aufmerksamkeit zu verbessern.

Und was ist mit den ganzen Gedächtnistrainern, die uns empfohlen werden?

Die sind natürlich gut und nützlich! Wie bei unseren Muskeln Bewegung das einzig wahre Mittel gegen die Spastik ist, ist es bei unserem Gehirn die geistige Beweglichkeit.

Je weniger wir von unseren normalen Einflüssen aufgeben, umso beweglicher bleibt unser Gehirn. Kein Gedächtnistrainer vermag zu leisten, was der bloße Arbeitsalltag bewirkt.

Depressionen und kognitive Störungen sind die Hauptgründe für die Frühverrentung MS-Betroffener. Neurologen sind immer noch schnell damit bei der Hand, uns in die Rente zu entsorgen.

 

Sind wir dann vor dem hier gefeit? Sollen wir unser Haus nicht mehr verlassen? Man muss doch irgendwann einkaufen, die Wohnung putzen, die Kinder erziehen, und, und, und…. .

 

  • Kleiner Ausflug in die Historie der MS-Behandlung

Wenn man früher - bis zum Ende des 20. Jahrhunderts - einen Schub bekam, wurde man komplett stillgelegt. Bettruhe hieß es! Keine Anstrengung, kein Sport, keine Aufregung. Sicher ist es im akuten Schubzustand nicht sinnvoll, Höchstleistungen zu vollbringen, doch ist es eminent wichtig, so schnell es geht, die Körperwahrnehmung an die neue Situation anzupassen. Früher wurde man mit Kortison-Tropf ins Bett gesteckt.

 

  • Heutige Erkenntnisse

Heutzutage empfehlen uns auch Neurologen Sport. Immer mit dem Hinweis, man dürfe sich nicht überanstrengen; natürlich. Sport ist körperliche Betätigung zum Spaß und zum Wettstreit mit sich selbst oder anderen. Sport entwickelt positive Auswirkungen auf Körper und Geist. Das hat die Neurologie erst im 21. Jahrhundert auch für MS-Erkrankte erkannt. Man kann auch mit seinem Gehirn Sport treiben. Nicht umsonst spricht man von Hirnjogging.

 

  • Konzentrationsstörung als Primärsymptom?

Es gibt offenbar auch nur durch Läsionen - unter Ausschluss der oben beschriebenen Auslösefaktoren - verursachte kognitive Störungen. Die Frage, die man sich dann stellt, lautet: »Was kann man dann denn tun?«

Die Antwort ist einfach: »Das Gleiche!« Was in unserem Gehirn passiert, wenn wir proaktiv an Einschränkungen arbeiten, sollte für alle Symptome das Gleiche sein. Wir haben die schwere, aber nicht unmögliche Aufgabe, die riesigen Möglichkeiten und Potentiale unseres Gehirns zu nutzen. Wir müssen neue Regionen aktivieren. Um neue Verknüpfungen zu schaffen, muss man sich mit neuen, unbekannten Dingen beschäftigen.

 

  • Was bedeutet Rente?

Fragt euch, warum es alte Menschen gibt, die total fit im Kopf sind, und andere, die immer gleichen Geschichten mit dem immer gleichen Ende erzählen. Wer glaubt, eine Rente mit 65 ist ein Segen, weil er sich dann aufs Sofa legen kann, irrt sich gewaltig! Was wird dann aus den sonnigen Vorsätzen, die Menschen vor der Rente in der Regel haben? Die Welt bereisen. Wir könnten dann... .

Und was tun sie in schöner Regelmäßigkeit? Genau das, was sie vorher auch getan haben. Sie ändern nichts, außer dass sie keine Arbeit mehr haben. Wenn man feststellt, dass eine Rente ohne neue Impulse, einfach nur langweilig ist, hat man das, was man eigentlich nicht mehr haben wollte, nur mit viel weniger Einkommen: Nämlich Stress!

Für uns ist die Situation zwar nicht vergleichbar mit einem Menschen im Rentenalter, aber es gibt dennoch Parallelen. Ein nicht mehr den Anforderungen des Systems - Versorgung durch Arbeit - entsprechender Mensch wird aussortiert. Das bedeutet Rente im gesellschaftlichen Sinne, nichts anderes. Politiker beginnen erst zu arbeiten, wenn der Normalo schon verrentet ist. Warum können die das? Haben die etwa keinen Stress? Hat Malu Dreyer keinen Stress?

  • Die Lösung

Für den frisch Betroffenen ist die Lösung, die Ziele und Wünsche nicht wegen der Krankheit an den Nagel zu hängen. Wo soll die Motivation für ein erfülltes Leben herkommen? Die Grenzen werden sich euch dann zeigen, wenn ihr sie durchbrecht. Wir haben die Aufgabe, an den funktionierenden Teilen unseres Körpers zu arbeiten und diese auszubauen. Der Neurologe und die Pharmabranche kümmern sich um das Kaputte. Das ist das Tolle an unserem Gehirn. Angeblich benutzen wir ja so wenig davon. Ist das so? Wenn etwas nicht mehr intakt ist im Gehirn, kann man die 90 Prozent überflüssige Gehirnmasse doch vielleicht anregen, etwas von den paar Prozent zerstörter Gehirnmasse zu übernehmen! Oder?

Dazu müssen wir aber das Gegenteil von dem machen, was uns die Rentenbefürworter weismachen wollen. Wir müssen weiterhin teilhaben am geschäftigen Leben.

 

Wir müssen Wege finden, unsere Möglichkeiten dem normalen Leben anzupassen. Wir benötigen mehr Planung, mehr Achtsamkeit, mehr Pausen, vielleicht eine andere Aufgabe.

Für all das gilt: »Rehabilitation vor Rente!«. Diese Rehabilitation müssen wir fortwährend betreiben; nicht nur in einer dreiwöchigen Reha von der Krankenkasse. Wir müssen uns ständig an neue Situationen anpassen. Neue Symptome, egal welche, haben Auswirkung auf unsere Psyche, auf unsere geistige Leistungsfähigkeit.

Legt keine Messlatte an! Jeder kann es in seinem Rahmen und mit seinen Möglichkeiten herausfinden. Wir müssen uns verändern, nicht die Umwelt muss uns aussortieren. Es gibt viele Möglichkeiten, die Arbeit als Mensch mit MS zu unterstützen. Ob es das Arbeitsamt, die Rentenversicherungsträger oder andere Sozialträger sind, Möglichkeiten gibt es genug. Aber an dieser Stelle sind wir gefragt. Wir müssen uns erkundigen, was es gibt. Wie kann ich den Arbeitsplatz in einem handwerklichen Job so anpassen und verändern, dass ich immer noch arbeiten kann? Wie bekomme ich eine Umschulung? Was könnte mir - außer meiner jetzigen Tätigkeit - noch Spaß machen?

Muss ich vielleicht Teilerwerbsminderungsrente beantragen, um meine Stunden zu reduzieren?

 

  • Tipps

Der Sachbearbeiter der ARGE wird euch immer die Rente empfehlen, dafür bekommt er ein Fleißkärtchen und ihr landet in der Armut!

Geh zur Rentenversicherung, wenn du arbeiten willst und zur Arbeitsvermittlung, wenn du in Rente willst!

Multitasking gibt es nicht.

Vielleicht kannst du dich so schlecht konzentrieren, weil dein Körper verrücktspielt!

Teil dir die Aktivitäten ein!

Finde heraus, wie viel du über den Tag verteilt zu leisten im Stande bist.

Glaub nicht, dass es dir besser geht, wenn du ausgerechnet die Arbeit streichst.

Konzentriere dich immer nur auf eine Sache.

Meide »Terroreinkaufszentren«.

Ruhe täglich deinen Geist aus, indem du mal an nichts denkst.