Rollstuhl

Der Rollstuhl ist immer noch das Schreckgespenst Nummer 1 des Frischlings. Um es vorwegzunehmen, nur ein geringer Prozentsatz der an MS erkrankten Personen, wird jemals fest und dauerhaft in einem Rollstuhl sitzen, ohne aufstehen zu können. Ein sehr geringer Prozentsatz! Ein etwas größerer Kreis braucht im Laufe seiner Krankheitsgeschichte irgendwann die Hilfe und Entlastung durch einen Rollstuhl. Ein sehr großer Anteil der Betroffenen wird nie einen Rolli benötigen.

 

Dennoch sollte man sich mit dem Thema auseinandersetzen, um das Schreckgespenst loszuwerden und der Angst vor dem Rollstuhl Herr zu werden.

 

Nun aber erst einmal ein paar Worte zu den unterschiedlichen Arten von Rollstühlen und deren Aufgabe. Rollstuhl ist nicht gleich Rollstuhl! Beginnen wir mit der Version, die manche von euch vielleicht im Krankenhaus einfach hingestellt bekommen haben, weil sie vorübergehend nicht laufen können.

 

Der Schieberollstuhl

Krankenhäuser und Rehakliniken haben immer ein Sanitätshaus, deren Mitarbeiter dort ein- und ausgehen. Am lukrativsten sind Patienten, wenn sie sich nicht wehren können. Also bekommt ein MS-Betroffener gern mal versehentlich einen Schieberollstuhl vors Patientenzimmer gestellt. Dieser bringt Geld, ist für uns aber unbrauchbar. Er ist dazu geeignet, Patienten von A nach B durch eine Klinik zu schieben oder für den Personenkreis derer, die vorübergehend wegen eines Beinbruchs nicht laufen können.

 

Der Pflegerollstuhl

Wie der Name schon vermuten lässt, handelt es sich um einen Rollstuhl, den der Betroffene nicht selbst bedient. Der Stuhl ist mit allerlei Hilfen ausgestattet. Einstellbare  Sitz- und vor allem Liegepositionen, Kopfstütze, Sitzschale, Gurte und so weiter. Je nach Schweregrad kann so ein Stuhl ausgebaut werden. Komapatienten nach Schädel-Hirn-Trauma, die erwacht sind, können darin langsam in physiotherapeutischen Behandlungen regenerieren. Ein MS-Betroffener hat mit solch einem Stuhl eigentlich nichts zu tun.

 

Der Aktivrollstuhl

Das ist das Modell für uns. Es lässt sich relativ leicht fahren und sieht sportlich aus. Wie der Name schon sagt, ermöglicht er uns trotz Handicaps viele Aktivitäten, die gesunde Menschen auch tun. Allein optisch strahlt so ein Stuhl Dynamik aus. Nichtsdestotrotz fährt sich ein Rollstuhl schwer. Man benötigt Kraft in den Armen und die muss man trainieren. Bedenkt, dass große Kraftreserven nicht gerade zu unseren Stärken zählen. Deshalb ist zu überlegen, ob der Aktivrollstuhl nicht gleich mit der Möglichkeit einer elektrischen Anschubhilfe ausgerüstet werden sollte. Dann kann man die schweren Elektroräder oder die normalen Räder fahren, indem eine Achslängenanpassung vorgenommen wird.

Ein weiterer bedenkenswerter Punkt ist, ob man sich für einen Falt- oder Starrrahmen entscheidet. Stabiler und leichter sind bei vergleichbaren Typen immer die starren Rollis. Die Greifreifen sollten bei dynamischen Fahrern keinen rutschfesten Überzug haben. Fahrt ihr damit etwas schneller ein Gefälle hinunter, glühen euch die Handinnenflächen weg. Ob lasiertes Alu oder klassischer Stahl ist reine Geschmackssache. Alu ist etwas wärmer, aber die Hände erhitzen sich beim Bremsen auch stärker. Nun  zu den Reifen. Hier möchte ich doch einmal einen Markennamen nennen: Schwalbe Marathon Plus. Wer das erste Mal beim Bezwingen eines steilen Gefälles „längs des Wegs einschlug“, weiß, dass gute Bereifung das A und O ist. Nicht nur in der Formel 1.

 

Die vorderen Lenkrollen sollten - wenn möglich - zum Tausch mit Steckachsen ausgerüstet sein. Ansonsten empfehlen sich gute breite Allroundrollen, die auch auf Kopfsteinpflaster einigermaßen rollen. Sehr kleine Rollen sind nur bei Indoornutzung sinnvoll. Verstellbare Schiebegriffe sind ganz wichtig, wenn man einmal nicht fahren kann und geschoben werden muss. Sonst könnte es dem Schiebenden einen Rückenschaden bescheren, der ihn bald vorn sitzen lässt. Die Schiebegriffe sind immer entweder zu hoch oder zu niedrig und dadurch ist die Benutzung absolut rückenschädlich.

 

Sitzkissen! Das Sitzkissen ist eine »Never Ending Story«. Es gibt nicht das beste Kissen, genauso, wie es nicht den besten Schreibtischstuhl gibt. Selbst eine Druckbelastungsmessung ist nicht perfekt. Die Kissen differieren zwischen einfachen Schaumausführungen (nicht zu empfehlen, aber billig) und Modellen mit Luftdruckregulierung einzelner Sitzzonen. Das Kissen sollte immer so dünn wie möglich und so dick wie nötig sein. Wie beim Fahrradsattel ist bequem und weich nicht gleich gut und dekubitusvorbeugend.

Letzter - jedoch wichtigster - Punkt ist die Größe. Ein Aktivrollstuhl muss wie ein paar angefertigte Schuhe perfekt auf den Nutzer angepasst werden. Dazu dienen Sitzbreite, Sitztiefe und Unterschenkellänge.

 

Der Elektrorollstuhl

Es ist ein Trugschluss, dass diejenigen, die darin Platz nehmen, zu den ganz traurigen Fällen zählen. Wer schon einmal in der Stadt Kleidung eingekauft hat und vorher durch die halbe Stadt im Aktivrolli auf Kopfsteinpflaster zurücklegen musste und dann fünf Hosen anprobierte, weiß, was ich meine. Eventuell braucht man die Hose in der nächsten Zeit nicht, weil man sich total überlastet im Bett niederlassen muss. Das ist mit einem Elektrorollstuhl viel einfacher. Das Pflaster schüttelt uns nicht so durch, dass Arm- und Beinspastik ihr Unwesen treiben. Die Hosenanprobe ist schon anstrengend genug. Weite Strecken (aber Vorsicht bei der Wortwahl siehe Tipps) sind dann mit Hund und Familie kein Problem. Wieso sollen wir zuhause sitzen, wenn es auch anders geht? Vergesst, was andere über E-Stühle denken. Die Krankheit macht uns behindert, nicht die Hilfsmittel, die wir benutzen.

 

Der Scooter

Vorteil ist sein langer Radstand, das Design und der gute Komfort auf schlechten Straßen. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass ihr euch nicht vom Design beeinflussen lassen solltet. Ich möchte mit der landläufigen Meinung: Ein Elektrorollstuhl sei für total behinderte Menschen und der Scooter für Opa, weil er nicht mehr so gut Auto fahren kann, aufräumen.

Das ist Unsinn!

Außer, dass ein Hund besser zu einem Scooter passt und er deutlich mehr Zuladung hat, besitzt er den sehr hinderlichen Nachteil in kein Kaufhaus zu passen, jedenfalls in fast keins. Sanitätshäuser machen ihn euch gern illegal schneller, aber er darf auch nur 6 km/h fahren, soll ihn eure GKV bezahlen.

 

Was man aus der Liste entnehmen kann, ist die Tatsache, dass alle Fahrhilfen ihre Berechtigung haben und trennt euch von dem Gedanken, wie die Passanten auf einen Rollstuhl schauen könnten. Probiert mal in einer Reha einen Rolli aus, obwohl ihr laufen könnt. Auf keinem Rolli steht: »Du bist an mich gefesselt.«

 

Tipps

Sanitätshaus suchen, das einen Vertrag mit eurer Kasse hat!

Das Sanitätshaus muss euch Rollstühle zur Probe geben können.

Auf dem Rezept muss folgender Text stehen:

            Speziell auf den Patienten angepasster Aktivrollstuhl oder Elektrorollstuhl

Für ein Sitzkissen ein zweites Rezept ausstellen lassen:

            Antidekubitus-Sitzkissen

            Siehe dazu Dekubitus (Geschwür in unterschiedlichen Stadien; von Rötung bis   zu offener Wunde)

Such Dir einen Rollstuhl aus, der dir auch gefällt. Du trägst ja auch keine Säcke an den Füßen statt Schuhen.

Überleg genau, wozu Du ihn brauchst!

Man muss nicht immer drin sitzen!

Er soll uns entlasten!

Ein Rollstuhl muss passen, wie Schuhe, aus denen ihr nicht mehr aussteigen möchtet.