Stress

Stress ist der wohl am heißesten diskutierte Auslöser von Schüben.

1.  Einleitung

Aber was ist Stress überhaupt und wie können wir ihn ausschalten? Was wir eindeutig sagen können ist, dass Stress eine natürliche Reaktion unseres Körpers ist. Heutzutage verwischen die Begriffe Stress und Stressor bzw. Stressfaktor. In unserer Begriffserklärung möchten wir bei der veralteten Trennung von Auslöser und Körperreaktion bleiben.

 

Denn nur so kann man zeigen, dass Stress eine nützliche, normale Reaktion ist. In unserer Empfindung und der Diskussion über Stress ist diese sehr alte automatische Reaktion des Körpers nur negativ belegt. Das ist allerdings ein weit verbreiteter Irrtum.

Es sind die Auslöser, die nicht zur Reaktion passen. Da Stress eine unwillkürliche Körperreaktion ist, können wir daran nichts ändern. Wir sollten Stress als sinnvoll erachten, wenn wir Körperreaktionen nicht generell verteufeln. Heutzutage gerät man schon in Stress, wenn man nur darüber redet.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, die Stressoren zu ermitteln, die uns ganz individuell stressen.

 

2.  Wie funktioniert Stress?

Wir unterscheiden physikalische Stressfaktoren wie Kälte, Hitze, Abgase, Strahlung usw. und psychische Stressfaktoren, die wir als MSler wohl hauptsächlich meinen, wenn wir über Stress sprechen. Die Wissenschaft ist sich noch uneins, ob beide Arten von Stressfaktoren gleich auf unsere Körperfunktionen wirken. Aber das ist Wissenschaft! Uns interessiert, ob wir Schübe rückwirkend auf stressige Situationen zurückführen können oder ob unsere Krankheit überhaupt erst durch Stress der besonderen Art ausgelöst wurde. Nur was tun wir, falls wir es herausfinden?!

 

Nun ist die Selbstuntersuchung zu angeblich stressigen Situationen nur dann sinnvoll, wenn wir Lösungskonzepte suchen und finden. Stressvermeidung ist natürlich in allgemeiner Form Blödsinn. Wo Säbelzahntiger leben, muss man weglaufen oder kämpfen.

Würde unser Körper keinen Stress erzeugen können, könnten wir uns bei einem ausbrechenden Feuer wohl kaum selbst retten. Wir würden uns vielleicht erst einen Kaffee kochen, damit wir „auf Touren kommen“. Koffein bringt uns auf Trab, aber leider viel zu langsam!

Richtig abgehen tut es, wenn unser Körper von selbst Alarm macht. Stress ist das Zauberwort. Es dringen Signale durch Reizleitung in unser Gehirn. Wir riechen Rauch, wir spüren Hitze, wir sehen Feuer und schon geht die Post ab. Die Augen weit aufgerissen, den Blutdruck schlagartig hochgefahren, werden vom Körper jede Menge Drogen in die Blutbahn gepumpt. Das lässt uns die notwendige Aufmerksamkeit in kürzester Zeit erlangen. Alles andere ist kalter Kaffee.

Warum stellen wir dann die gleichen Symptome an uns fest, wenn wir es nicht schaffen, den Haushalt sauber zu halten? Das ist die große Frage!

Wieso löst eine niedliche kleine Maus das aus, was einmal beim Anblick eines Säbelzahntigers von Nöten war?

Offenbar ist für viele von uns ein ansehnlicher Fußbodenbelag ohne Krümel, die sowieso nur wir sehen, gleichzusetzen mit dem Angriff eines Säbelzahntigers im Jurazeitalter.

 

3.  Die Reizschwelle

Und schon sind wir bei dem nächsten Faktor, der einen wesentlichen Anteil im Stressmanagement des Körpers hat. Der Reizschwelle! Der moderne Mensch hat offenbar eine sehr niedrige Reizschwelle. Das liegt daran, dass selten Säbelzahntiger durch unsere Küchen laufen, Katzen, die Haare hinterlassen, oder Kinder mit dreckigen Schuhen hingegen schon. Wir haben den Überlebenskampf gegen die Methoden moderner Firmenführung, die den abhängig Beschäftigten möglichst effektiv auspressen sollen, getauscht. Was danach kommt spielt wirtschaftstechnisch keine Rolle.

Angeblich ändert sich das schon lange. Neue schonende Methoden der Ausbeutung werden und wurden getestet. Aber nichts funktioniert so gut wie Mutter Natur. Und die hat uns mit Stress beglückt. Am besten funktioniert Stress für unsere Arbeitgeber, wenn wir selbst der auslösende Faktor für effektiven Stress sind,d.h., dass wir uns den Druck selbst machen und ihn dann auch noch als gut und positiv bezeichnen.

Auch Zuhause übernehmen wir diese Handlungsweise. Im Haushalt, bei der Kindererziehung, in der Freizeit, in den „Muckibuden“ und auf den Laufbändern. Überall! Wenn der Fernseher angeht, werden wir mit Bildern in anstrengend stressiger Reihenfolge bombardiert. Leuchtreklamen, Menschenansammlungen in Citypassagen, Staus auf Stadtautobahnen. Das sind unsere modernen Säbelzahntiger. Nur gab es in der Vorzeit gefährliche Situationen mit diesen gefährlichen Artgenossen wahrscheinlich selten. Dafür waren sie allerdings tödlich, wenn unser Stresssystem nicht funktionierte.

Heute ist Stress total verwässert. Er ist zu einer Art Kulturkrankheit degeneriert, obwohl er damit so gar nichts zu tun hat.

Wir fassen zusammen:

Unsere Reizschwelle ist antrainiert total niedrig. Für unsere Arbeitgeber ist es vorteilhaft, wenn die Reizschwelle nahe bei null liegt. Am besten ist es für sie, wenn wir selbst den Stress auslösen.

Die Reizverarbeitung ist arbeitgeberfreundlich so gedämpft, dass sie ihrem eigentlichen Sinn schon lange nicht  mehr entspricht. Wenn wir einen Unfall haben, unsere Knochen brechen, sich Metall in unser Fleisch bohrt, dann ist Stress unser Lebensretter. Der Schmerz ist ausgeschaltet, Überlebenskampf setzt ein. Der Körper geht auf Autopilot. Stress ist gut. Stress beschränkt unsere Aufmerksamkeit auf das Wesentliche. Vielleicht ist die Reaktion dann so stark, dass wir nicht einmal mehr wissen, was geschehen ist.

Nach kurzer Zeit kommt der Schmerz. Er soll uns veranlassen, keine Bewegungen zu machen. Der Schmerz signalisiert uns die Gefährlichkeit einer Situation. Ist es angebracht, fallen wir in einen Schockzustand, der alle unwichtigen Körperfunktionen abschaltet.

Ja, Stress löst schon wirklich beachtliche Überlebensstrategien aus. Kein Wunder, dass diejenigen, die nicht einmal eine Ahnung haben, was Arbeit als Mittel zum Leben in der Gesellschaft ist, diese Mechanismen ausnutzen, warum Werbung versucht uns mit Stress zu ködern, warum Motivationstrainer Hochkonjunktur haben.

Und dann kommen wir als MSler um die Ecke und man sagt uns: „Sie müssen Stress vermeiden!“

Wie bescheuert hört sich das für dich jetzt an?

Sollen wir auf eine Südseeinsel auswandern? Und da bekommen wir dann Stress, weil uns die glitzernde Welt der Werbung fehlt oder weil wir uns nicht mehr beweisen dürfen durch Erfolg bei abhängiger Arbeit. Wir müssen am Tag fünf Säbelzahntiger erlegen; daran sind wir gewöhnt. Auch wenn die schon lange keine Zähne mehr haben und nur Papiertiger sind, die uns eine selbstgeschaffene, wunderbare Überflussgesellschaft bescherte.

Den eigentlichen Akt des Genießens haben wir uns abtrainiert und durch ständiges Neukonsumieren, durch Unzufriedenheit und durch Missgunst ersetzt. Das erlegte Wild wird nicht am Lagerfeuer geteilt, sondern zum Selbstzweck getötet und liegengelassen. Einsammeln tun diejenigen, die sich die Methode zu Eigen gemacht haben. Der Häuptling ist nicht mehr Bestandteil des Stammes. Er zahlt nicht ein, er kassiert nur ab.

„Das hört sich ja aussichtslos an!“

Nein ganz und gar nicht!

 

4.  Stresslevel neu justieren!

Das sagt sich so einfach und was bedeutet das überhaupt? Sollte einem Urzeitmenschen der wesentliche Feind – der Säbelzahntiger – ein Bein abgebissen haben, waren seine Sinne garantiert fortan geschärft. Wir sind dem Säbelzahntiger nicht entkommen, aber auch nicht erlegen. MS ist unser Tiger! Nicht der Chef in der Firma! Nicht der Staub in der Wohnung! Nicht die nervenden Kids!

Was zum Teufel sollte uns Schlimmeres widerfahren als eine unheilbare Krankheit? Unser Überleben wäre in der Urzeit unmöglich gewesen.

Wenn wir entdeckt haben, wie unwichtig eine schlecht gesaugte Wohnung ist oder ein Chef, der uns anschreit oder dass die Waschmaschine gerade kaputtgegangen ist, dann haben wir den Schalter zur Krankheitsbewältigung und zur Neujustierung unseres Stresslevels bereits umgelegt.

 

Argumente abhängig Beschäftigter

Meine Kollegen müssen für mich mitarbeiten!

Ich kann doch nicht krankfeiern!

Die Arbeit muss doch fertig werden, wer soll sie denn tun!

Ich werde gefeuert, wenn ich nicht ...!

Ich schaffe das nicht mehr!

Fällt euch an den Argumenten etwas auf? Die meisten haben mit euch gar nichts zu tun. Ihr macht euch einen Kopf über Dinge, die man euch untergeschoben hat. Seit wann sind abhängig Beschäftigte für ihre Kollegen zuständig? Dafür gibt es Menschen, die darauf spezialisiert sind. Ihr habt damit nix zu tun! Wenn Kollegen mehr arbeiten, weil ihr krank seid, müssen die selbst an ihrem Stresslevel justieren, das könnt ihr niemandem abnehmen. Und Arbeit MUSS nie fertig werden, sie ist unser Auskommen. Denn Arbeit bleibt für uns immer Arbeit. Nicht mehr und nicht weniger.

Das mit dem Arbeitgeber, der jeden feuert, ist auch so eine Mär. Denkt doch einfach mal darüber nach, was ein Arbeitgeber ohne Arbeiter macht. Meint ihr, ein Chef mit zwei linken Händen könnte mit seiner Kohle Nägel in die Wand bekommen? Nein! Er kann sich nur Leute dafür kaufen, diese Aufgabe zu erledigen. Seine Abhängigkeit ist viel größer als eure. Ihr solltet selbst einen Nagel in die Wand schlagen können, dann könnt ihr euch bei der nächsten Predigt über schrumpfende Märkte und wegbrechende Kunden entspannt zurücklehnen.

In jeder Stellenanzeige wird Teamfähigkeit eingefordert. Wenn es um euer Gehalt geht, zerlegt sich Team schlagartig in seine Einzelteile. Niemand darf wissen, was der andere verdient. Offensichtlicher kann produzierter Stress nicht sein.

Also! Was soll‘s! Die heutigen Säbelzahntiger haben stumpfe Zähne.

 

5.  Tipps

Lass dir keine Verantwortung für etwas einreden, für das andere zuständig sind.

Du wohnst in deiner Wohnung, nicht derjenige, für den du sie aufmöbelst.

Übe das Weglassen. Wenn du keinen Parkplatz bekommst, fährst du nach Hause.

Überlege, wie du deine Einkäufe machst. Wenn du kaputt bist, fährst du nach Hause. Du wirst schon nicht verhungern.

Nimm die Familie mit in die Pflicht.